Das Konzept des Common Ground (CG) bezeichnet in der Kommunikation die Informationen und Annahmen (Propositionen), von denen die Kommunikationsteilnehmer*innen gegenseitig annehmen, dass sie sie während einer gemeinsamen Sprachhandlung teilen. Es gibt mindestens drei zentrale Ansätze des CG, die für die Wissenschaftskommunikationsforschung relevant sind: den sprachphilosophisch-linguistischen, den psychologischen und den rhetorischen Ansatz.
Der sprachphilosophische Ansatz geht auf Stalnakers Common Belief-Definition zurück. Dieser Ansatz ist eng mit dem Prozess der Präsuppositionsakkommodation verbunden, bei dem Sprecher und Hörer ihre Überzeugungen anpassen, um die Kommunikation effektiver zu gestalten. Dies beinhaltet die Berücksichtigung von Präsuppositionen, also den impliziten Voraussetzungen einer Aussage. Stalnakers Modell wurde weiterentwickelt, insbesondere im Table-Modell von Farkas/Bruce. Dieses Modell strukturiert die gemeinsamen Überzeugungen der Kommunikationsteilnehmenden und dient als Grundlage für die linguistische Analyse. Zusätzlich flossen die Question-under-Discussion-Modelle von Roberts und Simons in diese Vorarbeiten ein. Diese Modelle konzentrieren sich darauf, welche Fragen in einer Kommunikation im Mittelpunkt stehen und wie sie den Verlauf des Gesprächs beeinflussen.
Zeitgleich mit Stalnakers Modell wurde der psychologische Joint Activity-Ansatz von Clark entwickelt, der wichtig ist, um das kooperative Potenzial von CG zu verstehen, das wir für die Wissenschaftskommunikation nutzen wollen. Nach Clark ist der CG als das zentrale Konstrukt zur Erklärung von joint activity anzusehen. Insofern sind gemeinsame Handlungen von der Herstellung eines CG abhängig und auch eine Voraussetzung, damit Erkenntnisse aus der Wissenschaft in das Handeln von Individuen und Gruppen einfließen.
Der rhetorische Ansatz zum CG umfasst mindestens zwei zentrale Herangehensweisen. Der traditionelle Ansatz geht davon aus, dass der/die Orator/Oratrix eine dominante Rolle spielt und die Zuhörer*innen von seiner/ihrer Meinung oder Ansicht überzeugt und so einen CG herstellt. Diesem orator-basierten Ansatz in der Tradition von Knape steht ein Ansatz gegenüber, der durch den gleichberechtigten Austausch der Gesprächsteilnehmenden charakterisiert ist. Dieses Konzept der Invitational Rhetoric spielt gemeinsam mit Theorien über Ungerechtigkeit im Nexus von Macht und Wissen eine zentrale Rolle für Strategien der Etablierung eines CG.
Invitational Rhetoric versteht sich als Alternativmodell zur klassischen Rhetorik, die seit ihrer Begründung in der Antike das Ziel rhetorischer Argumentation als Persuasion definiert, d.h. als Überzeugung oder Überredung, und die rhetorische Situation als agonal. Das Ziel der Persuasion setze voraus, dass das belief system bzw. Wissen des Publikums ungenügend oder inadäquat ist und einer Änderung bedarf. Foss/Griffin kritisieren dieses konventionelle Rhetorikverständnis als hierarchisierendes, „paternalistisches“ Modell, das die Dominanz des Rhetors über sein Publikum impliziere sowie die individuellen Perspektiven und das Wissen des Publikums nicht anerkenne.
Der Wechsel von einem Persuasionsmodell zu einem Modell einer einladenden Rhetorik hat dabei großes Potenzial für die Überwindung polarisierter Diskurse und liegt auf einer Linie mit dem Abschied vom Knowledge Deficit Model hin zu partizipativen Verfahren in der Wissenschaftskommunikation. Invitational Rhetoric fußt auf zwei Säulen: erstens einer rhetorischen Form, die die eigenen Perspektiven anbietet bzw. eröffnet („offering perspectives“), ohne sie durchsetzen zu wollen, zweitens die Gestaltung einer sicheren und wertschätzenden Redesituation, die andere Perspektiven zu Wort kommen lässt.
Diese einladende, angebotsorientierte Form der Rhetorik nutzt u. a. Präsentationsformen der personal narrative und Kennzeichnungen als work in progress und Teamarbeit. Sie legt besonderes Augenmerk auf die Herleitung, Begründung und Erklärung der Position. Besonders in agonalen Situationen bedient sie sich einer Strategie des re-sourcements, versucht neue und unerwartete Perspektiven auf einen Konflikt zu finden, die eine Auseinandersetzung kooperativ respektvoll rahmen (reframing). Diese beiden Säulen werden bei KoKoKom in der Analyse sprachlicher Äußerungsakte aus Sicht der Rhetorik sowie Linguistik gespiegelt. Von der Wissenschaftskommunikationsforschung wird das theoretische Modell einer Invitational Rhetoric bislang nicht rezipiert, und hier liegt die zentrale Lücke, die unser Projekt adressieren will, zumal die Theorie einer Invitational Rhetoric in der pädagogischen und medizinischen Praxis produktiv eingesetzt wird. Dabei ist insbesondere zu klären, wie sich die Theorie des re-sourcements als rhetorische Strategie (genauer) beschreiben lässt und welche kommunikativen Praktiken und Formate insbesondere auch in den Sozialen Medien re-sourcement ermöglichen. Foss/Griffin gehen radikal von einer dialogischen Redesituation aus: Die Erzeugung von einer nicht-hierarchischen, symmetrischen Situation, in der das Publikum seine Perspektive unbehelligt, ja wertgeschätzt vortragen, nicht nur auf Angebote reagieren, sondern auch Inhalte initiieren kann. Damit liefern sie ein (weiteres) Argument für eine Konzeption von Wissenschaftskommunikation, die nicht topdown auf Unwissende einredet.
Mit dem Begriff der Polarisierung werden wachsende Diskrepanzen zwischen den (politischen) Einstellungen sozialer Gruppen und Gesellschaften beschrieben.
Grundsätzlich kann zwischen gruppen- und themenbezogener Polarisierung unterschieden werden. Während die Spaltung innerhalb der themenbezogenen Polarisierung anhand konkreter Meinungen oder Einstellungen entsteht, wie beispielsweise der Auffassung von Geschlecht und Gender, vollzieht sie sich bei der gruppenbezogenen Polarisierung anhand sozialer Gefüge und Milieus, so etwa des liberalen und konservativen.
Typisch für die Polarisierung ist das Formieren einer In- und Outgroup, die sich stark voneinander abgrenzen. Innerhalb der Ingroup werden die gleichen Überzeugungen und Meinungen geteilt, die wiederum als korrekt und überlegen angesehen werden. Daraus ergeben sich Effekte von tiefer Identifikation, ideologischer Verstärkung (Echokammern) und emotionaler Bindung, die die Ingroup näher zusammenrücken lassen. Neben diesen gruppeninternen Polarisierungseffekten, die dafür sorgen, dass sich Ingroups stärker von der Mitte entfernen, ist gleichzeitig auch das Phänomen starker Abgrenzung von der Outgroup, „den anderen”, zu beobachten. Die Outgroup wird als unterlegen angesehen und die Falschheit ihrer Überzeugungen wird immer wieder betont. Auch Diffamierungen und Herabwürdigungen der Outgroup sind gängige Polarisierungseffekte. All das sorgt für eine starke Dynamik von wir, die guten/richtigen/informierten/integeren, gegen die anderen, in deren Folge die beiden Gruppen immer weiter auseinanderdriften. Austausch und Annäherung polarisierter Gruppen fällt immer schwerer, je weiter die Polarisierung fortgeschritten ist. Als Zeitdiagnose wurde Polarisierung in den vergangenen Jahren gehäuft diskutiert und die Gesellschaft als „so polarisiert wie noch nie” beschrieben.